Wir und Vietnam – keine Liebesbeziehung

Von Kambodscha – stets freundliche, lächelnde Erwachsene, sich ausgelassen freuende, winkende, grüßende Kinder, alles ohne Aufdringlichkeit – fahren wir nach Vietnam. Niemand grüßt. Keiner lächelt. Hm!?

Spätestens seit der Verkehr jenseits der Grenze zunimmt, sind wir im Dauerstress. Was für ein Verkehr – chaotisch, unglaublich laut, aggressiv und so viele Mopeds, wie wir noch nirgends gesehen haben. In den Städten fährt auf mehrspurigen Straßen Moped an Moped soweit das Auge reicht. Mancherorts gibt es dazwischen kaum andere Fahrzeuge. Es sieht aus, wie eine Zweiraddemo, wie die berliner Fahrradsternfahrt mit Mopeds. Und aus allen Richtungen fahren sie auf uns zu – von hinten links und rechts vorbei, uns am rechten Fahrbahnrand entgegen. Von rechts fährt man in den Verkehr, ohne diesem auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Mehrfach brülle ich Mopedfahrer an – meine Klingel ist praktisch nicht existent – die auf dem Weg sind, mir in die rechte Seite zu fahren. Eine Herausforderung ist es, links abzubiegen und dabei die komplette Fahrbahn zu kreuzen.
Was uns aber fertig macht ist das ständige Gehupe in einer Ozeanriesen-gleichen Lautstärke. Kleinbusse, Busse, LKW versuchen, sich sinnlos laut den Weg frei zu lärmen. Hupen beim Überholen, selbst wenn die Straße mal leer ist, Dauerhupe und Vollgas – alle anderen sollen zur Seite hechten. Mehrfach stündlich hupt uns direkt neben uns jemand einen Hörsturz. Abends klingeln mir die Ohren. Für uns chaotischen Verkehr kennen wir aus anderen Ländern. Üblicherweise ist es dann aber ein Miteinander und Umeinander-Herumfahren. Hier wirkt es aggressiv.

Wie den Verkehr empfinden wir auch die Leute allgemein als plump, laut, unfreundlich, respektlos. Ständig wird an unseren Rädern gezerrt, sich ungefragt draufgesetzt. Will sich jemand mit uns unterhalten, stellt er sich Schulter an Schulter und brüllt uns unentwegt auf vietnamesisch an. Wollen wir etwas, fragen nach einem Hotelzimmer oder Essen im Restaurant, gibt es mehrfach keine Reaktion. Junge Männer kichern, wie eine Gruppe kleiner Mädchen, oder man steht einfach da und starrt teilnahmslos. Keine Antwort irgendwelcher Art, zum Beispiel durch Zeichensprache. Ich fühle mich an China erinnert, wo es jenseits der Sprachbarriere eine scheinbar unüberwindbare, kulturell bedingte Schranke gibt.

Wir sind gestresst und von allem hier genervt und merken, wie sich das auf unsere Gemütslage und unseren Umgang auswirkt. Wir überlegen, Vietnam schnellstmöglich – aber unsere Aufenthaltserlaubnis ist ohnehin auf 15 Tage beschränkt – und zumindest für diese Reise endgültig den Rücken zu kehren.

Ein Grund nach Vietnam zu fahren ist ein chinesisches Konsulat in Ho-Chi-Minh-Stadt. Dort werden wir, wie schon in Phnom Penh/Kambodscha, wegen eines Visums für China vorstellig, welches wir zwischen Vietnam und unserem Ziel Hongkong benötigen. Fehlte uns in Phnom Penh eine Einladung aus China, sollen wir hier ein Einreise-Flugticket ab Ho-Chi-Minh-Stadt vorweisen. Unverständlich. In einer Minute sind wir an der maximal unhöflichen, vietnamesischen Empfangsdame abgeblitzt. Vietnam, China, Konsulat – das ist gleich dreifacher Nervenraub.

In Ho-Chi-Minh-Stadt verbringen wir unsere Tage in einem Touristen-Viertel. Hotel grenzt an Hotel, Restaurant an Restaurant. Auf dieser Reise ist so ein Ort zur Abwechslung eine zwar teurere, dennoch willkommene Oase. Es gibt Restaurants mit europäischer Küche und damit für Lara beispielsweise mal eine Portion Spaghetti Bolognese. Üblicherweise gilt es, solche touristischen Orte zu meiden, wird doch dort oft versucht, den wohlhabenderen Besuchern aufdringlich bis unehrlich das Geld aus der Tasche zu ziehen. In jedem Fall ist das Bild, das man dort von einem Land erhält nicht repräsentativ und meist ein schlechteres, als im Rest des Landes. Hier in Vietnam verhält es sich etwas anders. Allein in Ho-Chi-Minh-Stadt sind die Leute serviceorientiert freundlich, lächeln. Vielleicht ist das der Grund, warum eher punktuell bereisende Rucksacktouristen – es geht von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit, dazwischen ein Transfer in einem Fahrzeug, das die Umwelt aussperrt – das Land angeblich recht gerne besuchen, während Radreisende sich durchgängig nicht richtig damit anfreunden können.

Wie bisher hat also jedes Land auf unserer Reise durch Südostasien seinen eigenen Charakter.
Und nebenbei bietet auch die Küche wieder etwas neues. Sind uns an Exotischem bisher Frosch, Schildkröte, Hai, Insekten, Spinnen und Storch über den Weg gelaufen, ergänzen in Vietnam Affe, Ratte und Schlange die Speisekarte.
In einem Restaurant stellt man uns auf Kosten des Hauses einen Teller kleiner Eier hin. Der Kellner öffnet eins und legt es Lara auf den Teller. Darin ein Vogelembryo. Lara bleibt gefasst, kann sich aber genauso wenig wie wir zum Probieren durchringen.

Die Ausreise aus Vietnam zurück nach Kambodscha ist beispielhaft dafür, wie wir beide Länder empfinden – gerade im direkten Vergleich des hintereinander Bereisens.
Die Ausreise aus Vietnam: Aus etwa 50 Metern Entfernung weist ein Uniformierter immer wieder resolut in die Richtung, aus der wir gekommen sind. Aber dort ist nichts. Ein Grenzübergang in der Pampa – keine weiteren Gebäude oder Personen. Nachdem wir unsere Räder in gehörigem Abstand zum Abfertigungsgebäude in der prallen Sonne geparkt haben, ist er zufrieden. Weitestgehend wortlos durchlaufen wir die Formalitäten mit finster dreinblickenden Beamten.
Die Einreise nach Kambodscha: Etwa zehn freundlich lächelnde Grenzer schenken uns ihre Aufmerksamkeit. „Bitte nehmen sie doch dort Platz! Da ist Schatten.“ Flaschenwasser wird uns geschenkt, ich darf ein paar Fotos machen. „60,-US$ Visagebühren bitte – eigentlich ja 90,-US$ (30,-US$/Person)!“ „O.K.!“

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Wir und Vietnam – keine Liebesbeziehung

4 Kommentare zu “Wir und Vietnam – keine Liebesbeziehung

  1. Rita Gabriel schreibt:

    Oh, jetzt bin ich ehrlich überrascht …. Vor allem, weil die Vietnamesen, die wir hier so kennen, durchweg sehr, sehr liebenswert sind. Vietnam ist gerade auf unserer „Bachpackreiseliste“ ein gutes Stück nach unten gerutscht….
    Aber vielen Dank für die lebendig geschriebenen Berichte, ich freue mich schon auf den nächsten und wünsche euch weiter eine wunderbare Reise… Bis bald, Rita

    1. Tom schreibt:

      Hallo Rita,

      schön, daß Du uns wieder verfolgst und kommentierst.

      Unsere Berichte sind ja gewollt subjektiv. Wir haben Vietnam so empfunden, auch weil wir sind, wie wir sind. Die Überschrift deutet es an – zu einer Beziehung gehören zwei. Vielleicht empfinden wir Unannehmlichkeiten eher als solche, als vor fast 10 Jahren, sicher aber, als es bei einer Reise ohne Kind der Fall wäre.

      Wie geschrieben und versucht zu deuten: Die Reputation Vietnams unter Radreisenden ist mehrheitlich schlecht, unter Backpackern aber wohl nicht so sehr, wurde mir zugetragen. Die Frage ist ja auch, was man sucht – Ruhe und Entspannung, Sehenswürdigkeiten und Erlebnis, … .

      Mir scheint es fraglich, ob Immigranten repräsentativ für ihr Herkunftsland sind, unterscheiden sich ihre Lebensumstände, ihre Umwelt, vielleicht sogar ihr Charakter (sie sind die mutigen, die ihre vertraute Umgebung verlassen) von denen der Daheimgebliebenen.
      Mir fällt da Marokko ein, wo sich jemand negativ über seine nach Europa gehenden Landsleute geäußert hat. Das wären solche, die sich hier wie dort daneben benähmen und den Ruf des Landes ruinieren. Oder Albanien. Albaner haben – i.d.R. sicher ohne jegliche eigenen Erfahrungen – bei uns einen schlechten Ruf. Die Menschen, die wir in Albanien getroffen haben, waren auffallend entgegenkommend und anständig.

      Grüße aus dem 35°C heißen Laos.
      Tom

  2. Ole schreibt:

    Hallo Ihr Lieben,

    einerseits ist es schön, wieder Neues von Euch zu lesen, andererseits ist es natürlich schade, dass Ihr auf Eurem jüngsten Streckenabschnitt nicht so viel Glück hattet wie bisher… Ich finde es schon bemerkenswert, wie an Landesgrenzen quasi von einem Meter auf den anderen die Mentalität und das Naturell der Menschen so stark umschwingen kann. Da sieht man mal, welchen Einfluss das (politische) Land doch auf seine Leute hat…
    Ich hoffe, dass diese Eindrücke zum Ende Eurer Tour nicht das gesamte Bild verfärben…
    Ansonsten bin ich natürlich begeistert von Euren weiteren Plänen (Australien!) und harre schon gespannt der Bilder und Berichte.

    Liebe Grüße aus Halle,
    Ole

  3. Stefan schreibt:

    Doch noch ein Satz zu diesem Reisebericht aus Vietnam; ich habe das von meinen Freunden, welche oft in Südostasien abseits der Wege unterwegs sind, nicht so drastisch gehört- aber die sind auch nicht in Familie und auf dem Rad unterwegs! Interessant, dass es so verschiedene Sichtweisen gibt. Schade für euch, solche Erfahrungen machen zu müssen…
    VG Stefan

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