Thailand die Dritte

Abschied von der Familie. Nach 344 x 24 Stunden intensiven Zusammenseins und des gemeinsamen Erlebens fliegen Lara und Denise nach Hause. Ich bin traurig. Die beiden werden mir fehlen. Niemand, mit dem ich die täglichen Eindrücke teilen kann. Mit den beiden könnte ich die Tour problemlos, ohne die Heimat zu vermissen, fortsetzen. Wir hatten uns jedoch im Vorfeld entschieden, die Reise auf maximal ein Jahr zu begrenzen, um Lara auch wieder andere soziale Kontakte zu ermöglichen. Wir sind glücklich, daß sie das zurückliegende knappe Reisejahr so bravourös gemeistert hat.
Mit mehr als 20 Jahren Radreiseerfahrung im Rücken, sind die Ideen, aufgrund dessen was möglich scheint, zahlreicher statt weniger geworden. Der durchaus wünschenswerte Zustand, sich eines Tages befriedigt am Thema Radexpeditionen abgearbeitet zu haben, ist selbst nach einer mehrjährigen Reise über fünf Kontinente nicht eingetreten. Den nahenden Abschied von Lara und Denise vor Augen, gibt es nun Momente, in denen nicht mehr alles, was machbar scheint, auch noch gewollt ist. Das unbedingte Wollen ist aber die wesentliche Voraussetzung für’s Gelingen. Die Frage wird sein, ob mich das vor mir Liegende soweit fesseln kann, daß es die Entbehrungen, die Anstrengungen, bürokratisches Generve, den Stress vergessen macht. Vorweg, die Erlebnisdichte der letzten Tage war hoch. Momentan möchte ich, trotz alledem, die sich so schnell nicht mehr bietende Möglichkeit, längere Zeit unterwegs zu sein, nicht aus der Hand geben.

Zwölf Wochen nachdem wir unsere Räder und Ausrüstung am nördlichen Stadtrand von Bangkok untergestellt haben, übernehmen wir diese wieder. Einmal quer durch die Großstadt geht es zum Flughafen. Bei 39°C müssen wir alle zehn Kilometer eine Pause einlegen, weil wir sprichwörtlich in den roten Bereich kommen.
Lara und Denise sind problemlos auf den Weg gebracht, ich radle wiedereinmal ins Bangkoker Stadtzentrum. Heute sollte es bei gleichen Temperaturen aber deutlich erfrischender werden. Es ist Songkran, das buddhistische Neujahrsfest (nach dem Mondkalender) oder auch Wasserfest. Entlang der Straßen sind Menschen postiert, die Vorbeikommende mit Wasser überschütten, bevorzugt Mopeds, Tuk Tuks (dreirädrige Motorradrikschas) oder dem Linienbus einen vollen Eimer Wasser durch’s offene Fenster. Es ist der Tag der Wasserwaffenhändler. Es gibt welche mit schätzungsweise fast zehn Litern Volumen oder welche mit Schlauch zu einem auf dem Rücken getragenen Tank. Landesweite Wasserschlacht (und auch darüber hinaus in buddhistischen Religionsgemeinschaften). Ein großer Spaß und bei den herrschenden Temperaturen kein Problem, trocknet man doch binnen Minuten. Hauptsache das Wasser stammt nicht aus den Khlongs, den die Stadt durchziehenden, vermüllten, stinkenden Kanälen. Abgesehen vom gelegentlichen Einsatz von Eiswasser, ist das Unangenehme eine weiße Paste, die man anderen ins Gesicht schmiert und die bei mir ein mehr oder weniger intensives, kühles Brennen verursacht. So mancher Tourist bekommt davon Ausschlag, und es gilt, die Paste zeitnah wieder abzuwaschen. So sind ich und meine Ausrüstung also nicht nur naß, sondern auch weiß. Wenn man sich dem Spaß aber partout verweigern möchte, leisten die Wasserwerfer dem aber durchaus folge. Hatten wir Laras und Denises Rückflugdatum relativ willkürlich und ohne Beachtung von Feiertagen gewählt – wer denkt schon an Neujahr im April -, ist es nun schade, daß Lara nicht mehr dabei ist.

Wissen und Weitsicht hätten mich vor einem größeren Problem bewahren können, das Sonkran mit sich bringt – totale Ferien. Alles ist zu, selbst Straßenküchen und Märkte, wesentliche Nahrungsquellen, arbeiten nicht, wie gewohnt. Ich benötige ein Visum für mein nächstes Reiseland Myanmar. Auch dort wird Songkran (Thingyan genannt) gefeiert, zeitlich versetzt, und Myanmars Botschaft in Thailand hat an thailändischen wie an myanmarischen Feiertagen geschlossen. Dazu Wochenenden und Brückentage ergibt 12 Tage geschlossene Botschaft.

Ich wohne in dieser Zeit im „Granny bike.bed„, einem Hostel von Radbegeisterten, die ausschließlich Radfahrer aufnehmen. Dort kann man andere Reiseradler treffen, die meiste Zeit habe ich das günstig in Bangkoks Altstadt gelegene Haus jedoch für mich alleine. Mit dem langen Aufenthalt kann ich aufgeschobene Dinge erledigen, wie mich durch den Stand frittierter Insekten zu kosten – kann man essen, muß man aber nicht – oder lerne manchen Nachbarn etwas kennen.
Da ist zum Beispiel der Eismann Banong, dessen Wohnverhältnisse ich, sooft ich es schon gesehen habe, jedes mal absolut erstaunlich finde. In Städten, vor allem hier in Bangkok, befindet sich im Erdgeschoss der älteren Gebäude ein Blech-Rolltor neben dem anderen, dahinter ein kleinerer, fensterloser Raum. Das ganze sieht aus, wie eine Garage. Diese Garage dient nun als Geschäftsraum – Werkstatt oder Laden – und als Wohnung. Beide Bereiche sind nicht voneinander getrennt, was bedeutet, daß das Privatleben, falls man es noch so nennen kann, öffentlich zur Straße hin stattfindet. Da sitzt man dann den ganzen Tag auf Kunden wartend. Es scheint eine Korrelation zwischen schmutziger Arbeit, vermutlich der schlechter bezahlten, und der Notwendigkeit so leben zu müssen zu bestehen. Man sieht innen rundherum schwarze Garagen, eine ölverschmierte Mopedwerkstatt zum Beispiel, in der in einer Ecke eine Matratze liegt, ein Fernseher steht, eine Hängematte, ein buddhistischer Altar. Banong nun handelt mit Eis. In seiner Wohn-und-Geschäfts-Garage stapeln sich Blöcke gefrorenen Wassers, die er bei Bedarf maschinell zerkleinert und vor allem an die vielen mobilen Küchen zu Kühlzwecken verkauft. Baulich hergerichtet, sprich isoliert, ist sein Raum dafür nicht. Auf einer Zwischendecke hinter den Eisblöcken hausen er und seine Frau.

Nachdem die Zeit ran ist, komme ich, trotz des Andrangs in der Botschaft, mit einem Tag Wartezeit problemlos zu meinem Visum und kann die Radreise endlich fortsetzen.

Ich bin sehr gespannt, ob mir weiterhin so großes Wohlwollen entgegengebracht wird, wie es mit Denise und Lara der Fall war. Bis zum letzten Tag wurden wir in Thailand beschenkt. Im letzten gemeinsamen Hotel, ein etwas besseres mit Pool zum Abschluss, wurde Denise von Seiten des Hotels aus gleich ein größeres Zimmer zum Preis des einfachsten gegeben. Ich war, an unseren Rädern wartend, mit einem Mann ins Gespräch gekommen, der sich später als der Besitzer des Hotels herausstellte. Dieser ordnete an, uns zum gleichen Preis nochmals hochzustufen, was wir jedoch vorsichtig ausschlugen, gefiel uns doch das mittelgroße Zimmer besser und hatten wir gerade an unserem letzten Abend kein Interesse, auf mehrere Raume verteilt, getrennt zu schlafen. Klar, die fast immer unbekannten Liegeräder lenken Aufmerksamkeit auf sich. Ständig werden wir fotografiert. Das ist das Los des Liegeradfahrers. Bei der hiesigen Facebook-Affinität wäre man dort rein technisch wahrscheinlich in der Lage, mit Hilfe von Bilderkennungsverfahren unsere Reiseroute nachzuzeichnen. Der eigentliche Star jedoch war ein fünfjähriges, blondes, in Augen aller Südostasiaten unheimlich süßes Mädchen. Während ich mich frage, welchen Anteil Lara an unseren Thailand-Begegnungen hatte, passiere ich gerade zur Mittagszeit ein Restaurant mit angenehm auffallendem Ambiente jenseits des üblichen Blechtisch-Plastikhocker-Pragmatismus‘. Spontaner Stopp, Einkehr. Der Wirt, als Eddy stellt er sich vor, ist wahnsinnig zuvorkommend. Er spricht englisch und erklärt, daß es nur ein thailändische Speisekarte gibt, da hier nie Touristen vorbeikommen. Er wäre ausgesprochen erfreut, mich in seinem Lokal begrüßen zu dürfen. Bitte, wenn er sich so über einen Ausländer freut. Letztlich gibt es mit einer Nudelsuppe für umgerechnet ca. einen Euro das gleiche, wie in den einfacheren Küchen, als Nachtisch frittierte Bananen mit Kokossoße, ein Getränk. Abschließend möchte Eddy ein Foto von mir (nicht von meinem Rad) machen, Essen und Getränke gehen auf’s Haus, wo ich als Berühmtheit ihn in seinem Restaurant beehrt habe. Erst jetzt erzählt er, daß er uns, also den ganzen Familienumzug, vor einigen Monaten, es muß im Januar gewesen sein, in den Fernsehnachrichten gesehen hat. Man hatte uns ohne unser Wissen auf der Straße gefilmt.
25 Kilometer später lege ich erneut eine Pause ein. Die 40°C sind überschritten, ich bin vom Schweiß völlig durchnäßt. „Very hot!“, sprechen mich einige an. „Hm“, denke ich. „Ich merk‘ schon.“ Andere jedoch schenken mir die eine um die andere Flasche Wasser.
An einigen Tagen steigt das Tagesmaximum auf 44°C, nachts sinkt die Temperatur nicht unter 30°C. Der Wind fühlt sich an, wie ein Fön.

Die Temperaturen führen dazu, daß ich bei Sonnenaufgang aufstehe und manchmal schon um 6:30Uhr auf dem Rad sitze. Dadurch kann ich die zu dieser Tageszeit losziehenden, orange bekleideten Mönche auf ihrem Almosengang sehen. Zum Beispiel beobachte ich Mönche beim Gang über den Markt. Die Markttreibenden geben Lebensmittel und bekommen eine Art Segnung. Die Zuwendungen sind reichlich. Eines von zwei Mönchspaaren ist in Begleitung eines Nichtmönchs, der alle Almosen in einem großen Korb auf dem Rücken sammelt. Bevor die Mönche den Marktplatz chauffiert von der Polizei verlassen, übergibt einer mir einen Beutel mit einem Anteil der gesammelten Lebensmitteln.

Ein weiteres Mal bin ich gut versorgt, als ich auf eine Familienfeier eingeladen werde. Abgesehen davon, daß es Essen und Getränke gibt, ist es ein großes akustisches Erlebnis. Schon zu Sonkran konnte ich sehen, wie religiöse Ernsthaftigkeit und ausgelassene Stimmung mit lauter Musik und Tanz zusammenkommen. Party im Tempel sozusagen. Hier spricht jemand eine Predigt, die Menschen lauschen zusammengesunken mit aneinandergelegten Händen. Irgendwann setzen leise und allmählich die Instrumente der Liveband ein. Die gesprochene Predigt geht in eine Art Sprechgesang, dann in Gesang über. Das Ganze wechselt wieder und wieder.

Auch mit kostenlosen Übernachtungsplätzen bin ich versorgt. Eines Abends frage ich an einem Tempel, ob ich mein Zelt aufstellen darf und bekomme einen Platz in einer Art Pavillon. Eine andere Nacht verbringe ich in einer Container-Baracke eines Straßenbaucamps. Im Gegensatz zum Wildzelten freue ich mich hier in beiden Fällen bei der Affenhitze über eine Dusche. Aber auch Hotels nutze ich, wird es doch nicht so bleiben, daß ich saubere Zimmer mit Dusche, manchmal mit Klimaanlage und Kühlschrank für unter 9,-Euro bekomme.

Habe ich auf vergangenen Reisen die selbst auferlegte Regel eingehalten, jeden Überland-Kilometer per Fahrrad zurückzulegen, lasse ich hier auch mal fünfe gerade sein. Angebote, mein Rad aufzuladen und gefahren zu werden, habe ich jedes mal dankend abgelehnt, ich bin aber LKW gesurft. Dabei nehme man einen LKW, der sich ähnlich quält, wie der Radfahrer und kaum schneller fährt. Idealer Weise ist das ein altes Ding, bei dem Ladefläche oder Ladung mindestens nach hinten ordentlich Überstand hat. Überholt der LKW, gilt es, in einem kurzen Sprint die hintere Ecke anzuvisieren und zu greifen. Hier in Thailand funktioniert es für mich besonders gut, da ich mich mit rechts festhalte, Linksverkehr herrscht und meist ein breiter Seitenstreifen mit wenig – nicht etwa gar keinem – Gegenverkehr vorhanden ist. Hat auch schon mit Fahrradanhänger funktioniert. Gewinnbringend ist das bei Bergauffahrten, meist auch die Situation, in der die Autos gleichfalls langsam fahren. Mit viel Kraft an meist scharfkantigen Griffen hängend, ist das aber meist ein kurzes Vergnügen. Die Erhaltung der Kletterform kann dabei noch als Legitimation dienen. Nur ein Mal fahre ich 17 Kilometer mit. Welliges Gelände, also nicht steil bergauf, so daß es nicht viel Kraft zum Festhalten braucht. In der Spitze erreichen wir dabei 50km/h.

Nun stehe ich vor den Toren Myanmars. Mit diversen Annehmlichkeiten, die Thailand dem Reisenden zu bieten hat, wird Schluß sein, aber ich freue mich auf neues Terrain.

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Thailand die Dritte

Kommentar zu “Thailand die Dritte

  1. Andreas Köhler schreibt:

    Hallo Tom
    Mein Name ist Andreas und wir kennen uns auch nicht persönlich. Vielleicht hat Danilo schon mal meinen Namen in deinem Beisein erwähnt was aber auch nicht wichtig ist. Auf jeden Fall hat er mir von deinen Reisen erzählt, wenn ich mir für meine im Vergleich minimini Touren so dies und das bei euch im Laden zugelegt habe. Und ehrlich und da übertreibe ich wirklich nicht, wenn ich sage , das mich schon das einfache Erzählen von Danilo , über deine Touren begeistert hat. Als ich nun auch noch davon hörte, das du ein Jahr lang das mit deiner Familie gemacht hast, war ….. Ich…hm ja .. Sprachlos und begeistert zugleich.
    Ich wünsche dir, das du nur positive Dinge erlebst und dir alle wohl gesonnen sind.
    Ich fahre morgen mit dem Fahrrad und Hundehänger ( darin sitzt Leon mein Parson Russel Terrier)an der Oder für zwei Tage an der Oder auf kleine Fototour.
    Dir noch viel Spaß

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