Myanmar, heißt es, sei „das echte Asien“, „wie Thailand vor 30 Jahren“. Unter Reiseradlern genießt das Land einen hervorragenden Ruf. Dem gegenüber steht, daß wildes Zelten und Privateinladungen verboten sind. Übernachtet werden darf nur in autorisierten Hotels, die einfachste, schmuddelige Zimmer für vergleichsweise viel Geld anbieten. Die Versorgung mit Bargeld sei ein schwieriges Unterfangen. Ich bin gespannt, was mich erwartet.
Wie schon die Visa-Beschaffung in Bangkok ist auch die Einreise nach Myanmar unerwartet problemlos. Die Frage nach dem Aufenthaltsort im Land wird mit der vorher herausgesuchten Adresse eines beliebigen Hotels beantwortet – fertig.
Ich bin zunächst unterwegs auf dem Asian Highway 1, der einmal auf über 20.000 Kilometern Tokio und den europäischen Teil der Türkei als gut ausgebaute Fernstraße verbinden soll. Wenige Kilometer hinter der Grenze ist davon noch nichts zu sehen. Zwar ist die Straße, immerhin, durchgehend befestigt, aber rau, buckelig und nicht breit genug für zwei Fahrzeuge nebeneinander. So müssen LKW und dergleichen über den geschotterten Randstreifen fahren, was das Radeln zu einer staubigen Angelegenheit macht.
„Myanmar ist arm“ reflektieren nicht nur einmal einheimische Gesprächspartner. So ist es immer wieder erstaunlich zu sehen, unter welch einfachsten Bedingungen Menschen leben und wie sie ihre Arbeiten verrichten. Ich fahre durch viele Dörfer, die nicht über Strom verfügen. Mittels Solarpaneel werden Autobatterien geladen, damit man abends eine Glühlampe betreiben kann. Zum Mobiltelefonieren geht man auf den Hausberg. Wasser gibt es an einer zentralen Stelle. Dort füllen die Menschen Kanister und schleppen das Wasser zu ihren Häusern, dort wird Wäsche gewaschen, dort wäscht man sich. Zusammen mit den Einheimischen findet meine Körperpflege im Fluß neben den Kühen statt oder es wird aus Eimern geduscht, mit denen das Wasser aus tiefen Brunnen heraufgezogen wurde. Auf den Straßen sehe ich viele Ochsenkarren. Vielerorts bestehen die Häuser aus Naturmaterial mit Wänden und Dächern aus Blättern. Arbeit ist fast immer manuelle Arbeit. Ochsen ziehen vorchristlich anmutende, hölzerne Pflüge. In Handarbeit werden Gesteinsbrocken ausgelegt und mit Teer aus über offenem Feuer erhitzten Fässern dünn wie mit Zuckerguss übergossen – fertig ist eine Straße, die nicht breiter ist, als unbedingt notwendig und so uneben, daß das Radfahren deutlich langsamer geht. Solcherlei Arbeit, körperlich schwere, schmutzige, schlecht bezahlte Arbeit auf Baustellen, ist dabei oft Frauensache. Ein arbeitsloser Mann erklärt mir, daß Männer diese Arbeiten nicht annehmen, allenfalls, wenn sie sehr ungebildet sind.
Das ist also „das echte Asien“? Eine Glorifizierung wirtschaftlicher und technologischer Rückständigkeit. Das moderne, touristisch erschlossene Nachbarland Thailand ist genauso echt. Damit einher geht jedoch, und das finde ich dann sehr begrüßenswert, eine starke, deutlich sichtbare kulturelle Identität. Modernisierung bedeutet derzeit eine Hinwendung zur westlichen Kultur und zum Wert Geld und kulturelle Vereinheitlichung. Supermärkte, westlichen Lifestyle in allen Bereichen, die allseits bekannten Fastfood-Ketten sucht man hier vergebens.
Statt dessen gibt es eine große Abwechslung an Ethnien und Religionen. Jeder Bundesstaat ist wie ein neues Land, in dem als erstes eine neue Mode auffällt – die Pa-O mit dem „Handtuch“ auf dem Kopf, die Kayan-Frauen mit ihren Halsringen und dem dadurch langgezogenen Hals, runde Hüte, spitze Kegelhüte mit und ohne bunte Bommeln, Tannaka-gefärbte Gesichter.
Zudem zeigt sich Myanmar mir als eines der freundlichsten Länder, die ich je bereist habe. Es ist für mich das wahre Land des Lächelns und ein Land des wahren Lächelns. Tragen andere südostasiatische Länder diesen Beinahmen, weil dort Unbefinden mit Lächeln überspielt wird, fasse ich das Lächeln hier so auf, wie wir es verstehen. Und zumindest vom weiblichen Teil der Bevölkerung und von Kindern wird es mir von jedem entgegengebracht, ohne Ausnahme, spätestens als Zurücklächeln, wenn das erste Erstaunen überwunden ist.
Große Gastfreundschaft und Unterstützung wird mir vor allem auf einem Abschnitt durch die Berge zuteil. Ich bin in einem Gebiet nahe der thailändischen Grenze unterwegs, das bis vor zwei Jahren für Ausländer gesperrt war aufgrund gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen lokalen Minderheiten und der Regierung. Drei Harte Radfahrtage mit Bergen, die so steil sind, daß ich kaum hinauffahren kann. Die Straße ist etwa drei Meter breit, der Belag schlecht. Es ist heiß. Streckenweise verflüssigt sich der Straßenbelag, und mit schmatzendem Geräusch und spürbar klebenden Reifen drücke ich mit zum zerreißen gespannten Muskeln mein schweres Rad die Berge hinauf. Die Versorgung ist spärlich in den schlecht erreichbaren Dörfern. Aber die Menschen stecken mir immer wieder Lebensmittel zu – Obst, gekochten Reis, eine Tüte gebratene Eier, Instantnudeln, sechs Päckchen Sojamilch, die das Bergauffahren nicht gerade erleichtern. Bei einer Übernachtung, zu der ich eingeladen bin, fährt jemand mit dem Moped los, um für mich diverse Lebensmittel zum Mitnehmen einzukaufen. Eine unglaubliche Unterstützung, gerade dort, wo die Menschen deutlich sichtbar kaum etwas zu geben haben.
Vom ersten bis zum letzten Tag in Myanmar gibt es Spannendes zu entdecken und faszinieren mich die Eindrücke, die Beobachtung der Lebensweise, die Vielfältigkeit der Bevölkerungsgruppen. Garniert mit einer Freundlichkeit, die Ihresgleichen sucht, ist Myanmar eine absolut gelungene Zugabe zu den zurückliegenden 12 Monaten Familienreise.
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Danke fuer diesen schoenen Artikel und die Fotos!