Was für ein Tag! Fast achteinhalb Stunden sitze ich heute auf dem Rad auf einer bergigen Etappe. Es regnet, alles ist schlammig und lädt nicht zum Zelten ein. Als es dunkel wird, passiere ich in einem Dorf ein buddhistisches Kloster. Ich frage, ob ich dort die Nacht verbringen kann. Es wäre auch in Myanmar nicht die erste Nacht in einem Kloster. Zwar verbieten es Gesetze den Mönchen, mich zu beherbergen, gemacht wird es trotzdem, wenngleich zögerlich. Auch, genauso verboten, wurde ich in Myanmar privat eingeladen und habe meist unbehelligt gezeltet. Kaum eine der negativen Geschichten anderer Radfahrer kann ich bestätigen. Diese berichten beispielsweise davon, daß sie nachts beim Zelten von der Polizei zum Zusammenpacken und langem Radeln zu einem Hotel genötigt wurden.
Im Kloster bedeutet man mir, ich solle warten. Es wird diskutiert und telefoniert. Gefühlt stundenlang warte ich bei Kaffee und Keksen auf eine klare Aussage. Ich bin kurz davor, einfach zu gehen, würde damit aber sicher vielen Leuten vor den Kopf stoßen, die sich nun um mich bemühen. Während man sich im Kloster positiv zeigt und mir einen Schlafplatz zuweist, kommt die Polizei. Auch die sieht kein Problem, ich soll nur noch etwas warten. Es kommen Uniformierte von der Immigration. Drei Leute befassen sich endlos mit meinem Reisepass – durchblättern, fotografieren, stundenlang einzelne Seiten anstarren. Dann erklären sie mir, es sei gegen das Gesetz, daß ich die Nacht hier verbringe. „Kein Problem, dann fahre ich weiter.“, gilt es nun, potenziellen Ärger für die Mönche zu vermeiden. Es entbrennt eine Diskussion. Die Beamten wollen mich mit dem Auto in ein Hotel in der nächsten Stadt bringen und mich in keinem Fall mit dem Fahrrad fahren lassen. Ich möchte jeden Überlandkilometer auf dieser Reise mit dem Rad zurücklegen. Sie verweigern die Herausgabe meines Reisepasses, und so liegt zwei Stunden nach meiner Ankunft im Kloster, es ist lange stockdunkel, mein Liegerad quer über den Sitzen eines Kleinbusses.
Im Hotel angekommen, soll ein einfacher Raum mit Bett und Gemeinschaftsbad 15,-US$ kosten. „O.K.?“, fragt mein behördlicher Entführer, der eigentlich sehr um mein Wohl bemüht ist, mir aber eine Hilfe aufzwingt, die ich gar nicht haben möchte. „Nein, ist nicht O.K..“. „O.K., ich zahle. Kein Problem.“, was ich unbescheiden annehme, schließlich ist es nicht mein Wunsch, hier zu übernachten.
Abgesehen von dem zeitaufwendigen Theater nach einer langen Radetappe ist das größte „Problem“ an der Geschichte dann lediglich, daß ich ein paar Kilometer mit dem Auto, statt dem Fahrrad zurückgelegt habe.
In der Folgezeit verzichte ich darauf, in einem Kloster vorstellig zu werden, campiere jedoch problemlos, obwohl nicht immer ungesehen.
Auch die Verfolgung durch „Sicherheitskräfte“ in zivil, von der andere Radreisende berichten, widerfährt mir nur ein Mal offensichtlich. Jemand folgt mir auf seinem Moped, selbst wenn ich zweimal die gleiche Strecke zurück fahre, stoppt, wenn ich stoppe, folgt mir in einen Laden, fotografiert mich. Irgendwann ist er verschwunden, nichts weiter passiert.
Ich fahre eine Runde, die die bekanntesten Sehenswürdigkeiten Myanmars verbindet – Inle-See, U-Bein-Brücke in Amarapura bei Mandalay, die Tempelanlagen rund um Bagan und die ehemalige Hauptstadt Yangon.
Auf dem Inle-See kann man mit Langschwanzbooten die sich mitten auf dem Wasser befindlichen Pfahlbauten-Dörfer der Intha besuchen. Es gibt schwimmende Felder – vor alle Gemüse wird auf schwimmenden Beeten aus fruchtbarem Schlamm und Wasserhyazinthen angebaut – und es gibt die berühmten Einbeinruderer. Angeblich weltweit einzigartig steht der Bootsführer am Heck des langen, schmalen Bootes, klemmt das Ruder mit einem Bein ein und schafft es, das Boot anzutreiben und dabei die Hände frei zu haben, zum Beispiel zum Fischen. Das Bild eines Fischers auf einem Bein mit kegeliger Reuse darf in keinem Myanmar-Reisebericht fehlen. Der ist mir genau einmal als Show für die Touristen begegnet. Zwar sehe ich viele Einbeinruderer und Fischer mit Netzen, der „typische“ Inle-See-Fischer wartet jedoch als Einzeltäter auf seinem Kahn, fängt an herumzuhampeln, sobald sich ein Boot mit Touristen nähert und hält dann die Hand auf.
Rund um den Ort Bagan ist die halbwüstenartige Landschaft überfrachtet mit Tempeln – tausende. Ich fahre mit dem Fahrrad zwischen ihnen herum, und es ist wie beim Pilzesammeln. Man steuert einen Tempel an und sieht in der Nähe schon den nächsten und denkt: „Der ist ja noch besser.“, und dahinter ist noch einer und noch einer. Die Anlage unterscheidet sich deutlich von seinem berühmteren, kambodschanischen Gegenstück Angkor Wat, steht ihm an Eindrücklichkeit aber in nichts nach.
Sind die Bedingungen für manches Foto jahreszeitlich bedingt schon längst nicht mehr optimal sollte es noch schlimmer kommen. Es beginnt die Regenzeit. Dazu kommt ein Zyklon, der in Sri Lanka schwere Schäden angerichtet hatte und dessen Reste sich nun Richtung Myanmar bewegen. Es regnet jeden Tag stundenlang, sehr starker Gegenwind. In Bächen fließt das Wasser über die Straße und steht rechts und links davon. Trotz guter Regenkleidung ist irgendwann alles nass. Wenigstens ist es immer noch so warm, daß ich selbst durchnässt im Wind nicht frieren muß. Was mir dabei am meisten zusetzt ist, daß gute Fotos ausbleiben. Die letzte Woche bis in die Großstadt Yangon ist kein Vergnügen mehr.
In Yangon wohne ich im Zentrum im chinesischen Viertel. Hier zeigt sich die Stadt einerseits als unglaublich hässlich und abgewirtschaftet – alle Gebäude bröckeln auseinander, die Fassaden sind mit Wasserflecken und Moos überzogen, und das graue Wetter verstärkt den Eindruck einer verrottenden Stadt. Andererseits ist das Viertel kulturell wahnsinnig bunt und lebendig. Überall gibt es Geschäfte, die Straßen sind voll mit Menschen und vor allem Essensständen. Hier zu sein als immer hungriger Radfahrer in einem Land mit teils unfassbar niedrigen Preisen ist ein Vergnügen. Endlos esse ich mich von Stand zu Stand.
Sensationell ist das Nebeneinander der Religionen. Die Stadt ist voll mit Tempeln, Moscheen, Kirchen und Synagogen. Auf der einen Straßenseite hallen buddhistische Gebete aus einem Lautsprecher, auf der anderen ruft der Muezzin zum Gebet. Um die Ecke steht einer der bedeutenderen buddhistischen Tempel der Stadt, dahinter eine christliche Kirche. An verschleierten Frauen hastet eine pinke Schlange buddhistischer Mönchsnovizinnen auf Almosengang vorbei. Diese sieht man hier recht häufig, während der befristete Gang ins Kloster in anderen buddhistischen Ländern Männersache ist.
Vor dem Hintergrund der Regensaison und vor allem, weil mein Visum abgelaufen ist, wird es Zeit, das Land zu verlassen. Vier Wochen habe ich in Myanmar verbracht, in dieser Zeit 2100 Kilometer mit dem Rad zurückgelegt und damit gemessen an der Landesgröße (etwa doppelt so groß wie Deutschland) nur einen kleinen Teil kennengelernt eines vielseitigen, spannenden, freundlichen Landes.
Oft werde ich gefragt, welches der von mir bereisten Länder das beste war. Myanmar hat sich weit vorne eingereiht.
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