Fährhafen Cilacap. Von hier wollen wir ein kleines Stück des Wegs entlang der Südküste Javas auf dem Wasser zurücklegen. Fährhafen? Ein Steg, ein paar offene Boote, wenige Leute, Kleinigkeiten werden von der Fahrradrikscha auf’s Boot verladen, Regen. Fähre? Es ist unmöglich, eine Aussage zu bekommen, welches Boot uns ans Ziel bringen kann. Mehrheitlich nur Schulterzucken. Schließlich erfahren wir, daß die Fährverbindung seit Jahren eingestellt ist. Wir können ein Boot chartern, der Preis ist jedoch inakzeptabel. Es findet sich ein Boot zu einem Ort auf halbem Weg. Das könnten wir für wenig Geld nehmen, dann für den zweiten Streckenabschnitt dort eines chartern. Wir entscheiden uns für diese Variante, denn wir haben keine Lust von Cilacap einen guten Teil der Strecke zurückzuradeln, um in einem großen Bogen unser Ziel auf dem Landweg zu erreichen. Eine Fahrt ins Ungewisse, denn ob wir ein Boot zur Weiterreise auftreiben können ist unklar, und einen anderen Ausweg gibt es nicht. Der Ort ist nicht auf dem Landweg erreichbar. Das bedeutet auch, daß man uns bei der Preisgestaltung die Pistole auf die Brust setzen kann.
Die Bootspassage geht entlang der Insel Nusa Kambangan, eine Gefängnisinsel inmitten von Mangrovensumpf und tropischem Regenwald. Unser Zwischenhalt ist eine kleine Ansammlung heruntergekommener Hütten im Wasser. Kein bisher allerorts übliches Lächeln und „Hello Mister“. Denise möchte hier schnellstmöglich weg. Für sie ist das Ende der Zivilisation erreicht. Lara fühlt sich instinktiv unwohl, klebt an meinem Bein. Ich laufe zwischen den Hütten herum und will unsere Weiterfahrt klarmachen bevor das Boot ablegt, mit dem wir gekommen sind. Rückfahrt auf gleichem Weg ist unser Fluchtweg. Letztlich mieten wir das Boot, das uns hierher gebracht hat, um bald wieder Festland unter unsere Räder zu bekommen. Ein kalkuliertes, deshalb aber nicht weniger spannendes, kleines Abenteuer.
An anderen Tagen auf diesem Reiseabschnitt durch die westliche Hälfte Javas stellt sich die Frage ob „das Ende der Zivilisation“ angenehmer ist als wenn einem die Begleiterscheinungen der Zivilisation mit Wucht ins Gesicht schlagen.
Es gilt, einige größere Städte zu durchqueren. Mit dem Fahrrad nie ein Vergnügen. Viele Straßen heißt schwierigere Orientierung – wobei uns diese recht gut gelingt – und es gibt einfach zu viel Verkehr. Die Gepflogenheiten im indonesischen Verkehr haben wir inzwischen verinnerlicht, aber Lärm und schwarze Abgaswolken machen uns fertig. Letztlich könnte man hier fahren wie man möchte. Das Überfahren roter Ampeln und Fahren im Gegenverkehr ist üblich. Man sollte einfach keine hastigen Richtungsänderungen vollführen, dann fahren die anderen schon drumherum. Den Eindruck, daß jeder fährt wie er möchte, hat man spätestens dann, wenn ein Platz mit Fahrzeugen in jeder denkbaren Ausrichtung zugestellt ist und jeder versucht, sich meterweise voranschiebend, dem Knoten zu entkommen. Allein Verkehrsschilder weisen darauf hin, daß es sich dabei um einen Kreisverkehr handeln soll.
Aber irgendwann bewegt sich eben nichts mehr. Negativer Höhepunkt ist der Puncak-Pass mit der sich anschließenden Stadt Bogor. Der letzte Pass auf Java fordert uns mit einer Auffahrt auf über 1500m, danach eigentlich nur noch rollen lassen bis Jakarta. Aber genau auf der Passhöhe beginnt ein Stau. Die folgenden 1300 Höhenmeter zu Tal sind nicht wir sondern danach allein die Bremsen abgefahren. Stau nach Bogor, in Bogor, aus Bogor heraus. Verteilt auf zwei Tage fahren wir 55 Kilometer im Slalom in besserer Schrittgeschwindigkeit um andere Verkehrsteilnehmer herum.
Die Fahrt mit den Rädern ins Zentrum Jakartas, der größten Stadt Südostasiens in der zweitgrößten Metropolregion der Welt, der Stadt mit dem täglich 24-stündigen Verkehrsinfarkt haben wir längst abgewählt. Für die Durchquerung bräuchten wir wahrscheinlich zwei Tage, würden aber sicher vorher mit einem asthmatischen Anfall regungslos vom Rad fallen. Von Abgasen schwarz wie der Asphalt und weil drei Buckel mehr auf der Straße nicht auffielen, blieben wir dort unbemerkt liegen. Also fahren wir durch die äußeren Bereiche des Ballungsraums zum internationalen Flughafen.
Das einzige, was schlimmer ist als streckenweise das Radfahren ist die Fahrt als Sozius auf einem Mofa, wozu ich mehrfach Gelegenheit hatte. 95km/h in Shirt und Sandalen, Fahren im Gegenverkehr, ständiges Hineinstoßen in Lücken, bei denen rechts und links meiner Knie keine handbreit Platz ist. Haarsträubend!
Das ungemütliche Umfeld prägt unsere letzten Tage in Indonesien negativ, etliche Begegnungen aber sehr positiv.
In Bandung ist die lokale Radszene über soziale Medien über unser Kommen informiert. Man erwartet uns. Wir werden in die Stadt hinein- und aus der Stadt hinausgeleitet, in der Stadt herumgeführt. In Tangerang ist uns jemand sehr behilflich bei der Organisation unseres Flugs aus Indonesien heraus und weiterer Dinge, fährt dabei mit mir einen halben Tag herum, läßt uns bei sich übernachten.
Dazwischen lädt uns ein Englischlehrer ein, seine Schule zu besuchen, ein muslimisches Internat. Die Religion nimmt hier einen zentralen Stellenwert ein. Wir bekommen einen Eindruck von strengen Reglementierungen, unter denen die Schüler hier drei Jahre verbringen. Allein am Sonntag können sie kurz von den Eltern abgeholt werden. Andererseits scheinen die Schüler einen lockeren Umgang zumindest mit ihrem Englischlehrer zu pflegen. Der muslimische Kleiderordnung müssen auch wir als Besucher uns unterwerfen. In erster Linie bedeutet das, daß Denise eine Kopfbedeckung ähnlich einer Sturmhaube tragen muß, das Gesicht bleibt jedoch frei.
Nach etwas über sechs Wochen in Indonesien werden wir das Land auf dem Luftweg Richtung Singapur verlassen.
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Hi Ihr drei. Vielen Dank für den eindrucksvollen Bericht von Eurem jüngsten Tourabschnitt. Es klingt ganz so, als ob das Leben in den geschilderten Großstädten mächtig anstrengend ist – gut, dass Ihr diesem Stress den Rücken kehren könnt und Euch ganz auf den nächsten, hoffentlich etwas entspannteren Streckenteil freuen könnt ;) Liebe Grüße aus Halle – Ole.
Hoi ihr drei!
Klingt ja tatsächlich ausgesprochen unlustig – und das wo ich mich hierzulande schon immer über die Autofahrer aufrege. Ich drück euch die Daumen, dass Singapur und Malaysia dann entspannter werden.
Wusste bis eben gar nicht, dass Singapur nur ein Stadtstaat ist… tss… peinlich sowas. Grüße aus dem schönen, wenn auch verregneten Rheinland. aron.
Hallo Aron,
jetzt wissen wir endlich, wer St0nemender ist.
Ich habe mich sehr über den Verkehr ausgelassen. Zum einen ist er ein berichtenswertes Erlebnis. Man macht sich kein Bild, wenn man sowas noch nicht gesehen hat. Zum anderen nimmt er in unserem Radfahralltag einen breiten Platz ein und beeinflusst unser Wohlbefinden, den Spaß am Radfahren maßgeblich. Und insbesondere in den letzten Tagen in Indonesien hat es weniger Spaß gemacht. Aufgeregt im negativen Sinn haben wir uns aber nicht. Singapur und die ersten Etappen in Malaysia unterscheiden sich diesbezüglich maximal.