Ankunft in Zentralasien

Über 10 Monate habe ich auf dieser Reise in Südostasien verbracht und fühlte mich dort wohl zwischen freundlichen Menschen und buntem Treiben. Nun geht es, dank des Spielverderbers China per Flugzeug, von Yangon/Myanmar via Bangkok/Thailand nach Almaty/Kasachstan.
Kasachstan – keiner lächelt, niemand grüßt, ein LKW-Fahrer beschimpft mich als Idiot. Alles ist grau. Es fehlt an Flair und Exotik. Ich möchte gerne thailändisch essen. Kaum in Kasachstan angekommen, vermisse ich Südostasien.
Das ist aber nur eine erste Momentaufnahme. Die Begeisterung für Zentralasien sollte bald aufkommen.

Direkt hinter Almaty ragen die Berge des Tien Shan steil, schneebedeckt und mit dem Fahrrad unüberwindbar auf. Ich fahre parallel zu dieser Bergkette, die im Verlauf von etwa 200 Kilometern so niedrig wird, daß die Überquerung ein Leichtes ist. Auf der anderen Seite, nach nur zwei Tagen im riesigen Kasachstan, erreiche ich Bishkek, die Hauptstadt Kirgistans.
Sehenswert erscheint mir Bishkek genau so wenig, wie andere Ortschaften, die ich durchquere. Vieles architektonische aus der Sowjetzeit muß aus heutiger und westlicher Sicht wohl als Fehlleistung bezeichnet werden, und das etliches scheinbar seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion dem Zerfall überlassen ist, gibt dem ganzen den Rest.

Durch den vollzogenen, kulturellen Wechsel fallen die Unterschiede und Besonderheiten auf. Neue Sprache, klar, – Russisch – die mit chinesenhafter Selbstverständlichkeit verwendet wird. Niemand, der mit mir ein Gespräch anfängt, fragt, ob ich überhaupt Russisch spreche. Statt auch nur eines Anflugs der Würdigung geringer Sprachkenntnisse – womit ich den meisten westlichen Touristen sicher etwas voraus habe – die schon fast vorwurfsvoll anmutende Feststellung, daß es schlecht ist, daß ich nicht besser Russisch spreche.
In den unzähligen Smalltalks entlang der Strecke geht es um das übliche woher, wohin, das Liegerad. Es wird aber auch jedes Mal nach meinem Alter und, mir völlig neu, nach meinem Familienstand gefragt. Bin ich verheiratet? Habe ich Kinder? Nur ein Kind!?
Überrumpelt werde ich vom exzessiven Händeschütteln, selbst wenn man sich völlig unbekannt ist. War in Südostasien das Höchste an Körperkontakt das Aneinanderlegen der eigenen Handflächen, treten hier ständig Leute auf mich zu, geben mir manchmal wortlos und ohne Mimik die Hand und gehen weiter. In einer Gruppe muß ich jedem Mann die Hand geben. Selbst entgegenkommende Reiter reichen mir vom Pferd die Hand und zerren mich mit unerwartet kräftigem Cowboyhändedruck halb vom Rad.

Auf einer kaputten Straße inmitten stressigen, stinkenden Verkehrs verlasse ich Bishkek, biege auf eine Nebenstraße ab und bin sofort in einer anderen Welt. Saftig grüne Wiesen entlang eines Flusses, Hirten zu Pferde treiben Vieh, im Hintergrund grüne Berge, dahinter schneebedeckte Berge, darüber ein Regenbogen. Auf der anderen Seite geht die Sonne unter. Wie ausgedacht.

Dann stehen die ersten höheren Bergpässe auf dem Programm. Der erste nötigt mir für 53 Kilometer Bergauffahrt sieben Stunden Fahrzeit ab.
Dort läuft mir, im wahrsten Sinne des Wortes, Ed aus England über den Weg, denn sein Fahrrad hat weder Gangschaltung noch Freilauf, weshalb er im steilen Gelände nicht fahren kann. Ed ist auf einem Einrad unterwegs mit dem Ziel, die Welt zu umrunden. Das ist verrückt, nicht etwa das Liegerad, benutze ich dieses doch, weil es etliche Vorteile bietet.
Normale Normalradfahrer treffe ich auch. Mit Stef und Nick aus Irland, auf dem Weg von Korea nach Hause, bin ich 12 Tage unterwegs.

Ich fahre durch eine wunderschöne Gebirgslandschaft mit grünen Wiesen vor schneebedeckten Bergen. Auf den Wiesen stehen die Jurten der Halbnomaden, zu dieser Jahreszeit direkt entlang der Straße. In den Sommermonaten wechseln sie ihren Aufenthaltsort abhängig von der Futterversorgung der Tiere, im Winter leben sie in deutlich tiefer gelegenen Dörfern in festen Häusern. Überall große, freilaufende Pferdeherden, Schafe, Ziegen und Kühe, berittene Hirten.
Mehrfach werde ich in Jurten eingeladen. Dort sitzen wir auf Teppichen auf der Erde und verzehren Nahrungsmittel aus „vergammelter“ Milch, die die hiesige Küche zahlreich bietet – Kaymak (Sahne), Kurut (saure, trockene Joghurtbälle) und allem voran Kumys. Stutenmilch wird in einem Lederbeutel geschlagen und gelagert, wo sie vergärt und durchschnittlich 2% Alkohol ansetzt. Saure Milch mit Alkohol trifft überhaupt nicht meinen Geschmack, aber die Kirgisen sind wahnsinnig stolz auf ihr Nationalgetränk. „Nein danke, schmeckt mir nicht.“ ist schon fast ein Schlag ins Gesicht und so „genieße“ ich mit freundlichem Lächeln etliche Schalen. Auch wenn schon mal der Schafschädel auf dem Frühstückstisch landet, damit er mit dem Messer abgeschabt werden kann, gibt es ausreichend brauchbare Gerichte – verschiedenste gefüllte Teigtaschen, Nudelgerichte, Fladenbrot.

Ich erreiche Osh, Kirgistans zweitgrößte Stadt, wo es gilt, Vorbereitungen für den hier beginnenden Pamir Highway zu treffen.

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Ankunft in Zentralasien

Kommentar zu “Ankunft in Zentralasien

  1. Stefan schreibt:

    Lieber Tom, vielen Dank für deinen amüssanten Bericht Leider kann ich mich immer wieder nur schwer erinnern, dass ich für die ausführlichen Texte aus der “ News“ – Ansicht in die Tom- Rubrik wechseln muss Das Alter und die Technik…. Ich hoffe Du hast, nunmehr im Iran, weiterhin keine Probleme mit dér Technik am Rad und Tastatur….
    VG aus T
    F Hagen von Tina und Stefan

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